Es zieht irgendwie alles an mir vorbei.
Die Berichte in den Medien über alternde Radsportler; wieder mal ein ermordetes Kind, verscharrt irgendwo da draußen im Wald; die OSCAR Verleihungen in den USA mit unwichtigen Infos; die üblichen politischen Sticheleien im Inland; Studien und Umfragen zu diversen Themen; Sportnachrichten; etc..
Einzig das plötzlich aufkommende Interesse am Klimawandel, der Vermarktungswert ökologischer Konzepte, die plötzlich wie Pilze aus dem Boden schiessen, vermag mich noch aus der Reserve zu locken.
Als ich vor drei Wochen an der Tankstelle mit der EC-Karte bezahlen wollte, hatte ich richtige Schwierigkeiten, mich an meine PINummer zu erinnern.
Ich glaube es war mal Esther Dyson, die vor einigen Jahren in der BrandEins in einem Interview von sich gab, sie wäre erst dann richtig erholt – an den Wochenenden, wenn sie mit ihrem Mann wandern geht – wenn sie am Montag morgen ihre PINs vergessen hat. Recht hat sie.
Die Umstellung zwischen den Welten habe ich schon sehr oft erlebt. Zwischen Kenia und Deutschland liegen nicht nur 6600 km, sondern auch viele kleine Details, deren Existenz erst bei näherer Betrachtung erkennbar wird.
Wenn ich am Flughafen stehe und die Unmengen von Zeitschriften sehe, im Flugzeug den Verpackungsmüll, gehetzte Menschen mit unterschiedlichen Vorlieben – all das gibt es mittlerweile an jedem Ort der Welt.
Aber nicht überall wird damit auf gleicher Art und Weise umgegangen.
Wenn man in Deutschland aufwächst, lernt man schnell, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen. In Kenia war das früher nicht der Fall.
In einem Land, in dem es vergleichsweise wenige Fernsehsender gibt, in dem Bücher immer noch sündhaft teuer sind und die Tageszeitungen gleich mehrfach von verschiedenen Personen gelesen werden, in dem der Internetzugang aufgrund mangelnder Infrastruktur und Hardware in den meisten Haushalten noch keine Realität ist, wo Wasser nicht aus der Leitung, sondern vor allem aus einem Wassertank vom Dach des Hauses kommt, die Benutzung von öffentlichen Toiletten Geld kostet und jeden Tag mit einem Stromausfall gerechnet werden muss – in so einem Land mag das Thema Reizüberflutung höchstens in Verbindung mit nervigen Verkäufern gebracht werden, die einem als Europäer irgendwelche Holzschnitzereien oder Batiktücher verkaufen wollen.
Ich sehe also die Zeitschriften, und denke mir: machen sich die Kunden eigentlich Gedanken um die Ökobilanz? Wieviel Wasser wurde für den Herstellungsprozess verunreinigt und ungereinigt in die Natur abgelassen? Was passiert mit all dem Kerosin, welches täglich verflogen wird? Was passiert mit dem Verpackungsmüll aus dem Flugzeug?
In Deutschland wird dieser Müll entsorgt. Ent-sorgt. So wie “sich der Sorge darum entledigen”. Der Müll wird vielleicht noch sortiert und teilweise wiederverwendet, der Rest wird verbrannt und zur Energieerzeugung verwendet.
Und in Kenia? In Kenia wird dieser Müll auf eine Halde geworfen, von Menschen nach brauchbarem Material durchsucht und dann verbrannt. Ohne Energieerzeugung.
“Ha!”, mag man sich denken, nicht nur in Kenia. Freilich nicht nur dort. Wir schauen kurz nach Osteuropa und sehen das Chaos vor der Tür. Tja…
Letztens erzählte mir ein ehemaliger Kommilitone, wie er als Ingenieur für die kenianische National Environment Management Authority (NEMA) kurz vor Weihnachten sechs Betriebe schließen lassen musste. Die Chinesen brauchen Rohstoffe, ganz China will sich motorisieren, und so wird alles aufgekauft was sich irgendwie wiederverwenden lässt. So auch das Blei in den Autobatterien.
“Wir brauchen eine flüssigkeitsdichte Fahrbahn”, wurde mir damals in der Ausbildung zum Mineralölkaufmann gesagt, “das ist jetzt Vorschrift an den Tankstellen”.
Ah ja. So etwas haben die Betriebe natürlich nicht in Kenia. Autobatterien werden dort irgendwo in einem Hinterhof zerpflückt, das Blei herausgenommen, und jegliche Flüssigkeit irgendwohin geschüttet. Ein Teil verdunstet, der Rest fliesst oberirdisch ins nächste Gewässer oder versickert. Stört ja keinen. Außer der NEMA, die dem bunten Treiben jetzt einen Riegel vorgeschoben hat.
Aber wieso stört das niemanden?
Weil die Menschen nicht mit diesem Umweltbewusstsein aufwachsen, weil sie früher organischen Müll gewohnt waren, der irgendwo verroten konnte, und weil sie täglich damit beschäftigt sind, zu überleben.
Wenn man täglich ums Überleben kämpfen muss, ist es einem sehr egal, ob die Batterien mit ihren Schwermetallanteilen irgendwo auf einer Halde, oder aber in der nächsten Toilette verschwinden. Genau wie in Deutschland entledigt man sich dieser Sorge. Soll sich doch jemand drum kümmern der Ahnung davon hat!

Müllhalde bei Nairobi – direkt hinter dem Kasarani Stadium (im Norden erkennbar), wo letzten das tolle Weltsozialforum stattgefunden hat…
Als ich in meiner Tätigkeit als “technischer Berater” den Chef des Regionalbüros bat, dass wir die Batterien in Zukunft getrennt sammeln und nicht mit ins wöchentliche Feuer im Hinterhof werfen, schaute er mich nur unverständlich an. “Aber was sollen wir denn sonst mit denen machen?”, frug er mich. “Ich weiß es nicht”, entgegnete ich ihm, “aber jedenfalls nicht mit ins Feuer werfen, dass dann beim nächsten Regen alle Schadstoffe ins Grundwasser gespült werden.”
Sein Job beinhaltet unter anderem viel Aufklärungsarbeit. So weisst er die Siedler an den Flussläufen an, ihre Toiletten nicht unmittelbar neben einem Gewässer zu errichten. Das mit den Batterien war ihm allerdings neu.
Mein ehemaliger Kommilitone bei der NEMA versteht diese Problematik nur zu gut – sind es doch seine Leute, denen er hier Chancen aus umweltschutztechnischen (sp?) Gründen verwehren muss, die ihnen sonst eine Möglichkeit zu einem Herauskommen aus ihrem Dasein bieten. Die Autobatterieverwerter haben ihre Tätigkeit natürlich innerhalb kürzester Zeit wieder aufgenommen. Es stört ja sonst keinen, und Kontrollen sind nicht immer möglich.
Aus diesem Grund, weil eine Problematik mit der anderen zusammenhängt, werden irgendwo in den Steuerzentralen dieser Welt Papiere zusammengeschrieben, in denen Schlagworte wie poverty, NGO, waste management, gender, HIV, etc. treffend die vorherrschenden Rahmenbedingungen beschreiben. Wie schön.
Es wird dann irgendwo eine Konferenz einberufen, irgendwelche Experten fliegen für viel Geld und Müll (Kerosin, Verpackungsmüll) in ein tolles Land, wohnen exklusiv in einem sündhaft teuren Hotel, referieren über ihr Lieblingsthema mit einem MSc. in der Tasche und reisen dann wieder mit einem Konzept ab. Irgendwo liegt dann noch nen Stapel Kataloge und Broschüren rum, alle irgendwo auf Hochglanz mit Schwermetallhaltigen Farben bedruckt, und verändert hat sich für die Welt: nix.
Und dann kommst Du nach Deutschland zurück, schaltest den Fernseher an und siehst, wie sie auf einmal alle ganz hektisch versuchen, das arme Klima vor den bösen Menschen zu schützen. Und ich frage mich: wenn wir es in einem Land wie Kenia, wo noch so vieles erst in den Anfängen steckt, die Menschen noch hungrig nach Wissen und weiterbildenden Informationen sind, das tägliche Leben aus der Abdeckung von Grundbedürfnissen besteht und durch Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Schulen noch so viel mehr erreicht werden kann – wenn wir es selbst dort nicht schaffen, was soll dann erst aus dem Rest der Welt werden?
Achim Steiner, Chef des UNEP mit Sitz in Kenia, meinte letztes Jahr in seiner Antrittsrede, dass dies gerade die Herausforderung für das UNEP wäre, dieser kaputten Welt täglich direkt vor der Tür zu begegnen. Ob sich dadurch etwas ändert?
Man könnte, wenn man nur wollte. Man könnte so vieles machen.