Die eine Hälfte meiner KommilitonInnen setzt sich abends regelmäßig vor den Fernseher, und zappt sich so durch die Langeweile. Begriffe wie “Schland” oder “Wok-WM” sind da keine Seltenheit – es gibt sogar solche hartnäckigen Vertreter, die sich regelmäßig die langweiligsten Sportberichterstattungen im Fernsehen anschauen: Tour de France, Ski-Langlauf, Formel Eins…
Vor einigen Jahren habe ich das Fernsehgerät abgeschafft. Wir schrieben das Jahr 1996, und während einige meiner Freunde mit jeglicher Selbstverständlichkeit ihr eigenes Gerät direkt neben dem Bett stehen hatten, kam mir gar nicht erst der Gedanke, diesen Kasten in meinem Schlafzimmer aufzubauen. Es war ja auch gar kein Platz vorhanden. Stattdessen hatte nämlich ein Computer den Weg in mein Zimmer gefunden, und schon nach 2 Jahren kam – wie selbstverständlich – eine Fernsehkarte hinzu, die im Desktop PC immer noch für den Empfang aller Sender dient.
Wenn es Empfang gäbe. Aufm Land, in dem Kaff wo ich die letzten fünf Jahre studiert und in einem Studiwohnheim gewohnt habe (“gelebt” wäre fast schon übertrieben), hatten wir nur eine mickrige Satellitenschüssel, die lediglich die Regionalprogramme sowie die üblichen Volksverdummungssender empfing. Ideale Voraussetzungen also, um sich ganz bequem und langsam von der Flimmerkiste zu verabschieden.
Statt sich passiv vom Fernesehprogramm unterhalten zu lassen, kam das Internet dazwischen, welches zumindest ein wenig mehr Interaktivität und Fortbildung bot. Mittlerweile gibt es auch hier die volle Unterhaltung – wem also das Fernsehen nichts bietet, kann sich im Internet diverse Filmchen anschauen, oder Online Magazine durchlesen.
Die andere Hälfte meiner KommillitonInnen hat sich bewusst gegen den Fernseher entschieden. Meistens kommt eh nur Mist, und es lenkt nur von den eigentlichen Verpflichtungen ab. Dazu noch nervige Schreiben von der GEZ und die Tatsache, dass es auch alles unnötige Kosten verursacht. Kurzum: braucht man eigentlich nicht.
Fernseher in einem Hotelzimmer in Embu, Kenia. Ein dickes Teil, aber ohne richtigen Empfang.
Wie sehr man das alles nicht braucht, habe ich jetzt wieder in den letzten vier Monaten in Kenia erlebt. Aus Spaß an der Technik und Experimentierfreude, hatte ich mir fürs Notebook eine PCMCIA TV Karte mitgenommen, an der ich den Fernsehempfang testen wollte.
In Kenia gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Fernsehprogrammen – terrestrisch oder gar via Satellit (Kabelfernsehen gibts sogar auch in Nairobi) – und im Gegensatz zu früher auf einem anderen Frequenzbereich. Das bedeutet im Klartext, dass die für den Empfang der (natürlich immer noch analogen) Programme nötigen Antennen viel kleiner ausfallen, und damit viel günstiger in der Herstellung sind. In Embu, diesem Kaff am Mount Kenia wo ich in der Zeit gewohnt habe, hatte so ziemlich jeder Haushalt einen eigenen Fernseher. Nun muss man verstehen, dass die Anschaffung eines Fernsehgerätes in Kenia ungefähr die gleiche Priorität hat wie bei uns hierzulande vielleicht der Hype Ende der 1980er Jahre, als alle Hausfrauen und Hausmänner einen Herd mit Ceranfeld haben wollten. Jetzt sind es wohl die Flachbildfernseher.
Die TV Karte habe ich einmal beim Harry ad-hoc mit ner selbstgebauten Antenne kurz angetestet – und wir haben uns darauf geeinigt, dass es ja an sich “ganz nett” sei – mehr aber auch nicht.
In Kenia kann man via Satellit übrigens auch das ZDF empfangen – wem Kenia also keine oder nur ungenügende Unterhaltung bietet, wird sich fernsehtechnisch zumindest nahe der Heimat wiederfinden.
Allein…alleine die Zeit scheint bei all diesen technischen Unterhaltungsgeräten die größte Rolle zu spielen. Ich nehme mir nicht mehr die Zeit, mich abends vor die Glotze zu hängen. Es bringt mir nichts, und langweiligt mich vielmehr.
Heute morgen kam ein Werbeflyer vom MediaMarkt ins Haus: DVD-Videorekorder mit eingebauter 160 GB Festplatte. Für 250,- EUR. Kann man sich kaufen, zu Hause aufstellen und all die Programme aufnehmen, die man sonst verpassen würde.
Tja. Was man so alles an schönen, interessanten und unterhaltsamen Dingen verpassen könnte. Was ich alles verpasst habe während meines Aufenthalts in Kenia. Ohne Fernseher. Ohne Internetradio. Ohne die neuesten Indyscheiben. Selbst die 10 Punkte Alben von Jan Wigger waren mir egal.
Es sagt sich immer so leicht: “Wir verzichten auf den Überfluss.”
Hier, in Deutschland, im Lande des Überfluss, habe ich noch keinen Nerv gehabt, all die vorgemerkten Internetfilmchen anzuschauen, die ich in Kenia an all den langweiligen Abenden mit lauter Musik von der Bar nebenan mangels einer gut funktionierenden Breitbandverbindung nicht anschauen konnte. Einzig diese knapp 50minütige documentary über die Entstehung des Monty Python Films “Life of Brian”, die letztens beim Spreeblick verlinkt waren, konnten mich aus der Reserve locken. Aber sonst?
Kenia ist ein faszinierends Land. Für mich ganz klar ein Teil der Heimat, eine gewohnte Umgebung, in der man trotzdem als Aussenstehender täglich neue Möglichkeiten entdeckt. Sicherlich mag es auch am angenehmeren Wetter liegen, welches dort eindeutig mehr Glücksgefühle hervorruft als die wolkenverhangenen, rauhen Tage hier, an denen einem in der Stadt nur traurige Gesichter entgegenkommen.
Ich muss immer an diesen einen Satz aus dem Film “Nirgendwo in Afrika” denken, als die Hauptdarstellerin zu ihrem Mann nach der Ankunft in Kenia in den 1930er Jahren sagt: “….es ist ja ganz nett hier, aber hier können wir doch nicht für immer bleiben!”. Anderen mag bei dem Satz “…aber hier leben?” wohl eher die Band Tocotronic einfallen.
“Home is where your heart is”, heißt es woanders. Ein gutes Zitat, immer wieder.
“Eigentlich scheissegal wo man lebt”, denke ich mir dann, ob nun in Dland, Kenia oder sonstwo. Hauptsache man lebt. Und dieses Gefühl, aktiv zu leben, täglich neuen Problemen und Konfrontationen ausgesetzt zu sein, für die man Lösungen finden oder sich selber anpassen muss – das habe ich bisweilen eher in Kenia gefunden als hierzulande.
“Boah, so könnte ich ja nicht leben”, entgegnete es mir letztens von einer Kommilitonin, als ich ihr vom Alltag in Embu erzählte. Nun, das ist aber die Realität. Und seltsamerweise erfüllt es mich mit mehr Zufriedenheit – trotz aller Umstände – als mich dieser von zu viel Polemik geprägten Welt hinzugeben und meinen Platz hierzulande zu finden.
Die für mich schönste Erkenntnis des letzten halben Jahres war, dass ich wieder gelernt habe, wie schön das Verreisen ist. Früher dachte ich immer, man müsse irgendwo ankommen, weil wir ständig unterwegs waren und ich nur noch Ruhe haben wollte. An einem Ort bleiben. Etwas aufbauen. Freundeskreis. Gewohnte Umgebung.
Und dann für viel Geld 2x im Jahr in die Sonne fliegen und Urlaub machen? No way.
“The journey is the destination”, heißt es bei meinem Vorbild Dan Eldon. Wahrscheinlich werde ich ewig unterwegs sein, geistig immer gleichzeitig in verschiedenen Welt leben, Schätze einsammeln und mit anderen teilen. Wahrscheinlich ist das meine destination.
Mittlerweile gibt es ja auch schon digitale Videorekorder im Internet. Für all die Dinge, die man sonst verpassen würde.