Was mache ich eigentlich beruflich? Diese Frage habe ich in den letzten Jahren so oft gehört, und statt sie – für mich alleine auch schon, denn darum geht es – zufriedenstellend beantworten zu können, war ich mir ob der richtigen Antwort nie so sicher. Alles und nichts, irgendwie.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der unheimlich vieles darüber definiert wird, welche Sicherheiten existieren, um persönliche Risiken zu minimieren. Arbeit wird fast nur in Festanstellung als gut betrachtet, und oft fällt die ominöse Frage “aber die Rente?”, die es dann zu beantworten gilt. Diese Dinge sind hier wichtig, und Veränderungsprozesse unterliegen diesen Sicherheitsbedenken. So viele Dinge sind auf das Angestelltenverhälnis ausgelegt, eine Selbstständigkeit wird oft nur im Bereich der Großverdiener angesiedelt und dementsprechend gibt es wenig Lobby für die vielen kleinen Selbstständigen in diesem Land.
Kurzum: Wenn man in Deutschland selbstständig arbeiten möchte, muss man eine gute, kalkulierbare Auftragslage, Rechnungszahlungmentalität bei seinen Kunden und genügend Ausdauer haben, um diesen Weg für sich zu gehen. Man muss das alles wollen und genügend Eigenmotivation mitbringen. Man muss seine Kunden mögen, die einzelnen Tätigkeiten gut finden und auch mal kraftraubende Probleme lösen wollen.
Ich war die letzten 15 Jahre selbstständig unterwegs und habe das geliebt. Nicht nur deswegen, weil es sich so ergeben hatte, sondern weil ich eigentlich immer das machen konnte, was, wann, wie und wo ich wollte. Das ist eine riesige Freiheit, die mir all den Stress als Selbstständiger immer wert war. 2023 war mein erfolgreichstes Jahr ever und ich hätte auch so weitermachen können. Habe ich dann aber nicht! Stattdessen habe ich zum 1.1.2024 eine Festanstellung im öffentlichen Dienst angefangen, also das komplette Kontrastprogramm. Von der maximalen Freiheit zur totalen Überregulierung, wo es einerseits für alle Vorgänge Formulare und Dienstwege gibt, andererseits der rechtliche Rahmen im öffentlichen Dienst oft das vorgibt, was möglich und vor allem unmöglich ist.
Jetzt nach den ersten vier Wochen in dieser Festanstellung im öffentlichen Dienst liege ich nach einer Dienstreise an einem Samstagmorgen im Bett und denke mir so, dass ich eigentlich alles richtig gemacht habe. Und damit meine ich nicht die persönlichen Sicherheiten, sondern dass mir der Job, also die einzelnen Tätigkeiten und der Verantwortungsbereich sehr viel Spaß machen und ich vielleicht auch schon viel früher in diesem Bereich hätte arbeiten können. Aber das (Arbeits-)Leben ist eine Reise, und hinterher weiß man es immer besser. Der neue Job passt 100% zu mir und meinen Neigungen, und das ist für jemanden wie mich das Allerwichtigste.
Multipotentialite
Mein Freund Alipasha hatte mich vor ein paar Jahren als einer der wenigen Menschen richtig erkannt und mich mit der Bezeichnung Multipotentialite bekannt gemacht. Meine Bekannte Lena von LenaLiteratur ist auch so eine Person, nennt es aber Scannerpersönlichkeit. Lena hat jetzt zur gleichen Zeit wie ich ihre alte Selbstständigkeit gewechselt, weil es sie ihrer Freiheit und Energie beraubt hatte.
“Multipotentialiten (MPs) haben nicht eine wahre Berufung, der sie nachgehen, sie verfolgen immer mehrere Wege, entweder simultan oder nacheinander. Sie prosperieren wenn sie lernen, erkunden und neue Fähigkeiten meistern. Das macht sie zu pragmatischen Getting Things Done Menschen.”
Das schrieb Alipasha in dem Artikel über mich, und es trifft den Nagel auf den Kopf.
Wenn man als sog. “Third Culture Kid” im Ausland aufwächst, dann trainiert man sich oft die Eigenschaft an, mit neuen Situationen schnell klar zu kommen und sich gut auf das Gegenüber einzustellen. Man muss nachgeben, vergessen, weiterkommen, in der Situation reagieren und immer verstehen, dass das Gegenüber nicht den gleichen Erfahrungshorizont hat und Dinge auf den eigenen Erfahrungen bewertet, die sich eben fundamental von den eigenen unterscheiden. Ich sehe das sehr oft und auch immer noch in den sozialen Medien, wo mir Tweets früher oft falsch ausgelegt wurden, weil eine Person halt nur ihren Teil sieht und es dementsprechend anders interpretiert. Und Sprache ist ein mächtiges Instrument. Viele Gesprächspartner kennen nur zwei Zustände, ja oder nein, dafür oder dagegen, Grautöne sind selten. Gerade auch die nicht ausgesprochenen, nicht definierten Zustände bleiben so unberücksichtigt.
Wenn man als Kind im Ausland aufwächst, dann nimmt man es einfach so hin, dass nicht immer alles so eindeutig ist, wie es die gesellschaftliche Norm vorgibt (die in Deutschland übrigens oft nicht offen kommuniziert wird). Dass es im Leben auch noch mehr als die persönlichen Risiken gibt, und dass man viel mehr mitbekommt, wenn man sich auf fremde Kulturen einlässt und bereit ist, die Welt kennen zu lernen.
Der Mensch vergleicht sehr oft. Ich war als Kind oft neidisch auf diejenigen, die eine feste, ausdefinierte Heimat haben. Die sich fest irgendwo verorten können und dann von dort aus in die Welt schreiten. Die immer eine feste Basis haben, von der aus jeder Schritt ein Schritt nach vorne ist.
Für mich war es nicht immer so. Dieses Weiterkommen, geistig, emotionaler, fachlicher Art war mir ja immer wichtig. Nicht die Sicherheiten oder die Heimat finden, sondern sich geistig, emotional und auf fachlicher Ebene weiterentwickeln. Im Beruf als auch im Beziehungsleben. Weiterkommen, also “lernen, erkunden und neue Fähigkeiten meistern”, das war es immer. Das Ende einer Beziehung nicht als Unheil betrachten, sondern die Erfahrungen daraus ziehen und für sich besser wissen und verstehen, was man eigentlich wirklich möchte.
Lehrjahre sind keine…
Nachdem wir also 1996 nach Deutschland zurück kamen, hatte ich überhaupt keinen Plan, WAS aus mir in dieser Schubladenwelt eigentlich werden sollte. Was interessiert mich wirklich? Keine Ahnung. Alles irgendwie, vielleicht die Welt der Elektronik. Also schrieb ich mich direkt noch im Herbst ’96 für Elektrotechnik an der FH in Frankfurt ein . Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde, aber mindestens 60% der Kommilitonen hatten schon eine Ausbildung als Elektriker hinter sich und waren ganz anders darauf vorbereitet. Nach einem Semster der Wechsel zur Uni, Studienfach Politologie. Fand ich damals interessant! Afrikanistik in Leipzig hätte mich auch noch interessiert, damals zumindest. Parallel dazu suchte ich mir eine Ausbildungsstelle, denn – so war meine Einstellung – wenn ich erstmal Azubi sein würde, käme ich vielleicht leichter in diese Denkweise der Angestelltenwelt rein. Ich lernte Kaufmann im Groß- und Außenhandel mit der Fachrichtung Mineralöl bei einem Mineralölkonzern und fand es fachlich hochspannend. Es gab eine sehr gute Bezahlung und Mineralöl als Ausgangsmaterial ist ein sehr interessanter Werkstoff, ohne den vieles auf dieser Welt nicht möglich wäre.
Jetzt im Nachhinen hätte ich danach vielleicht auch im Bereich Kunststofftechnik weitermachen sollen, denn das hätte mich auch noch sehr interessiert. Nach der Lehre entschied ich mich, mit der Firma bei ihrer Fusion nach Düsseldorf umzuziehen und dort die Benzinpreise einzustellen. Das komplette Jahr durchgearbeitet, weil es sich personell leider so ergeben hatte, den Tankstellen die Benzinpreise diktiert und abends müde ins Bett gefallen. Ich war 24 Jahre alt und hatte eigentlich gehofft, dass das Leben noch andere Dinge zu bieten hätte. Also nach einem Jahr gekündigt und ein paar Monate lang etwas komplett anderes gemacht: Bei einer Jobbörse Print-Anzeigen händisch in HTML konvertiert. Das hatte sich durch einen Zufall so ergeben und ich nahm den Job sofort an. Wieso auch nicht, bot es mir doch eine willkommene Abwechslung. Den ganzen IT-Kram hatte ich mir so nebenbei selber beigebracht, wie es halt so ist im IT-Bereich. Man muss sich lange genug damit beschäftigen, dann versteht man es etwas und kann auch als Quereinsteiger Dinge gestalten, die auch in einem Informatikstudium eher nicht vermittelt werden.
Ingenieurwesen
Mit 25 dann die Erkenntnis, dass ich doch lieber nochmal studieren möchte. Und weil „Wasser” ein interessantes Themenfeld ist, für das es in ein paar Jahren sicherlich Bedarf geben wird und für das ich mich auch schon als Kind interessiert hatte (~Bau eigener Wasserfilter als Kind), hatte ich mich in einer kleinen FH in der Lüneburger Heide für den Studiengang „Wasserbau und Kulturtechnik” eingeschrieben. Quasi Bauingenieurwesen mit einer großen Wasserkomponente. Nach drei Semestern dort dann der Wechsel zum neuen Studiengang „Wasserwirtschaft”, der mir inhaltlich noch mehr zusagte, zumal ich mich nicht als Bauingenieur sah. Mir war das Bauwesen zu grob, zu weit von dem entfernt was mich eigentlich daran interessierte.
Inhaltlich später der Fokus auf Abwasser, weil das ein sehr vernachlässigter Bereich ist. Es folgten Praktika im Bereich der Verfahrenstechnik auf einer Kläranlage, später in einem Wasserprojekt in Kenia und im Sektorprogramm „ecosan” (ecological sanitation) der GTZ in Eschborn.
Für die Kläranlage hatte ich mich entschieden, weil es hochspannend ist, an irgendwelchen Maschinen und Pumpen herumschrauben zu dürfen. Wer war in seinem Leben schon mal im “Ganzkörperkondom” in einem Faulturm drin und hat dort mit einem Hochdruckreiniger die Rohre von all dem Schrott befreit, der sich in einer Kläranlage ansammelt? Das macht man im Leben nicht so oft, aber ich fand es großartig und würde es jederzeit wieder machen. Und ganz ehrlich: Das ist besser und befriedigender als an einem Strategiepapier zu formulieren, das später in irgendwelchen Schubladen landet. Dass mir das Schreiben an sich gefällt, seht Ihr hier ja an meinen Blogposts. Aber es muss sich auch lohnen. Gute, ehrliche, oft körperliche Arbeit lohnt sich und man weiß am Abend, welches Werk man vollbracht hat. Ich liebe das. Das befriedigt mich. Geistig und emotional.
Nyumbani
Später in Kenia im Wasserprojekt ging es schlussendlich auch darum, die mangelhafte IT-Infrastruktur zu verbessern. Die tolle hydrologische Software aus deutschter Produktion konnte nicht richtig eingesetzt werden, weil die Rechner ständig defekt waren. Auch musste erst einmal ein funktionierendes lokales Computernetzwerk aufgebaut werden, was mit den knappen Mitteln (finanzieller und technischer Art) im Jahr 2006 in Kenia gar nicht so einfach war. Mich interessierte das natürlich sehr, weil ich bereits als ehrenamtlicher Netzwerkadministrator im Studentenwohnheim das Netzwerk betreut hatte. Also erstmal Grundlagen schaffen, genau mein Job eigentlich. Ich mag das auch. Aufräumen, für Ordnung sorgen, mit den Kollegen planen und dann direkt umsetzen. So etwas befriedigt. Direkte Erfolgserlebnisse. Das ist wie in der Informatik, wenn Programme geschrieben werden und irgendwann ohne Fehler laufen.
Kenia ist ein Teil meiner Heimat, daher war die Mitarbeit in der ländlichen Wasserbehörde auch so eine Art Rückkehr. In so einem Land wie ein Prinz aufzuwachsen und allen Luxus zu erfahren, und später dann dort zu arbeiten und in einfachsten Verhältnissen zu leben sind zwei komplett unterschiedliche Erfahrungshorizonte. Wenn mein Vater damals nicht verstorben wäre, hätte ich dort auch weitergemacht.
Damals hatte ich schon den Wunsch, der Techniker bei der (damaligen) GTZ zu sein, der in den Zielländern der Entwicklungszusammenarbeit für eine funktionierende IT-Infrastruktur sorgt. Oftmals liegen die Probleme vor Ort nämlich auch im technischen Bereich, weil die Angestellten mit ihren USB-Sticks Malware transportieren oder Betriebssysteme aktiviert werden müssen, was nur online funktioniert. Wäre man in der EZ wirklich an einer systematischen Lösung interessiert, hätte man diese Dinge zentraler gelöst und den Einkauf nicht den lokalen Büros überlassen.
Irgendwie ist es genau mein Ding, als Technik-Fuzzi für eine korrekt funktionierende Infrastruktur zu sorgen. Vielleicht ist das auch genau der rote Faden, der sich durch all die Tätigkeiten zieht: Dafür zu sorgen, dass andere ihren Job gut machen können.
Sanitärversorgung
Spezialisiert hatte ich mich inhaltlich später auf den Bereich der öffentlichen Sanitärversorgung. Erst ging es um nachhaltige Sanitärversorgung im Sinne von Kompost- und Trenntoiletten, was jetzt seit ein paar Jahren wieder im Aufschwung ist. Drüben im Saniblog schrieb ich Ende 2022 einen Artikel über ein Netzwerktreffen der Szene, es tut sich gerade so vieles in dem Bereich. Toiletten sind wichtig, und mir geht es oft auch um das Handling der Stoffströme und natürlich um den Umgang der Menschen mit dieser Schnittstelle „Toilette”. Sehr spät, nach ein paar Jahren „Scheinfreiheit” im Studium, schrieb ich bei meinem Professor Michael Braungart meine kleine Diplomarbeit über die Anwendbarkeit des (von ihm definierten) Cradle to Cradle Systems für den Toilettenbereich. Mit dieser Diplomarbeit bin ich inhaltlich nicht zufrieden, weshalb ich sie später nie weiter erwähnt habe. Hauptsache durch und die Fleißarbeit abschließen – für weitere Texte zum Thema habe ich meine Fachblogs. Wenn es jedoch darum geht, sich mit einem Themenfeld intensiv auseinander zu setzen, dann kann ich guten Gewissens behaupten, dass ich das komplette Feld der Sanitärversorgung für mich von A bis Z abgefrühstückt und eine ausdefinierte Meinung dazu habe. Folglich sehe ich die Probleme in dem Sektor nicht im (verfahrens-)technischen Bereich, sondern im soziologischen. Darüber schrieb ich sogar schon in 2011 im Saniblog: Es ist vor allem eine gesellschaftliche Frage, ob Investitionen in diesem Bereich getätigt werden sollen. Andere Ländern sind diesbezüglich weiter, und sei es nur, weil sie die Finanzierung dafür besser im Griff haben (siehe Autobahntoiletten in Frankreich).
Für die Cradle to Cradle Designphilosophie brenne ich weiterhin, da gibt es auch noch viel Potential. Es muss aber auch von den richtigen Consultants umgesetzt werden. Aus meiner Sicht sind viele gute Dinge in dieser Welt auch insofern etwas limitiert, als dass sie oft nur von Wissenschaftlern propagiert werden. Wissenschaftler werden aber nicht für die Umsetzung bezahlt, sondern für die Erforschung und Erklärung. Umsetzen müssen es andere Menschen. In diesem Bereich sehe ich mich eher. Ich wäre kein guter Wissenschaftler, ich ticke da komplett anders und entscheide Dinge eher aus dem Bauch heraus. Die sind zwar auch durchdacht, aber vielleicht nicht immer so empirisch belegt. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich mein Engagement im Sanitärsektor immer weiter zurückgefahren habe. Die Firmen im Sanitärbereich sind KMU, die in vielen Arbeitsprozessen oft noch im letzten Jahrhundert leben oder den Fokus auf andere Absatzmärkte legen. Ich sah und sehe mich seit Studiumsabschluss in diesem Bereich nicht so richtig Geld verdienen, daher hatte ich mich weiterhin für die Selbstständigkeit entschieden und mir eher kurzweilige IT-Projekte gesucht.
Ausgelernt
Ich bin jetzt also Kaufmann im Groß- und Außenhandel mit der Fachrichtung Mineralöl und habe einen Abschluss als Diplom-Ingenieur (FH) Wasserwirtschaft und Bodenmanagement im Bereich Anlagenbetrieb und Bestandserhaltung. Aber als was arbeite ich jetzt eigentlich?
In den 15 Jahren Selbstständigkeit habe ich viele verschiedene Dinge gemacht. Ich habe Blogs für die (damalige) GTZ und CIM gebaut, Blogbeiträge geschrieben, Newsletter geschrieben und verschickt, also eine gute Mischung aus inhaltlicher Textarbeit und auch richtiger Programmierarbeit im Frontendbereich. Dazu kommen ja immer auch Abstimmungsschritte mit den Auftraggebern, d.h., man muss alles dokumentieren und geduldig kommunizieren.
Für manche Kunden war ich der IT-Ansprechpartner, wo es von einfachen Anfragen technischer Natur und Hilfeleistungen über die Fachberatung und Planung bis zur Umsetzung kompletter Projekte und sogar von Daten-Netzwerken ging. Von der IT-Administration bis hin zum Einkauf. Wissensmanagement ohne Ende. Social Media seit 2007 auf vielen Kanälen. Projektmanagement. Projektmitarbeit bei Themen, die viele Videokonferenzen und Abstimmungsschritte beinhalten. Themenfelder aus der IT und Entwicklungszusammenarbeit. Publikationen im WASH- und IKT- Bereich, über Stadtkultur und Innovationswirtschaft. Dazu noch eigene Veranstaltungen geplant und durchgeführt. In den letzten Jahren noch viele kleine Kunden dazubekommen, die alle ab und zu IT-Consulting benötigen und selber selbstständig unterwegs sind. Es waren eigentlich immer gute und interessante Jobs, ich bereue nichts von all dem und hatte nie das Gefühl, meine wertvolle Lebenszeit mit sinnlosem Kram zu verschwenden (wenn man mal von einigen langsamen Computerprogrammen absieht, die ich teilweise verwenden musste). Alles abwechslungsreich und vielseitig genug. Die Projektarbeit teilweise auch bei Themen, die meinen Horizont nachhaltig verändert und mir neue Welten aufgezeigt haben.
Mal wurde ich als Consultant gebucht, der Vorträge über Sanitärversorgung hält und etwas über gutes Toilettendesign erzählt. Aber die meiste Zeit waren es doch eher Themen und Tätigkeiten aus dem IT- & EZ-Bereich. Ich muss sogar für diese Auflistung im Lebenslauf nachschauen, weil es einfach so eine riesige, bunte Mischung ist. „JKE of all trades” trifft es sehr genau, und das ist auch der Grund, wieso ich nicht in einer unteren Wasserbehörde als Dipl.-Ing. irgendwelche Kanalsysteme planen möchte. Mir wäre das viel zu monothematisch, ich würde dort geistig und emotional eingehen und es interessiert mich nicht mehr so. Das Sanitärthemenfeld habe ich für mich mental durchgearbeitet, es gäbe aber in dem Bereich genau einen* Job, für den ich alles stehen und liegen lassen würde: Ich wäre gerne der Verantwortliche in dieser Stadt, der sich um die öffentlichen Toiletten kümmert. Das würde ich gerne veranworten und optimieren.
*(tatsächlich gäbe es noch eine weitere Tätigkeit, die ich in dem Bereich gerne ausüben würde und die ich im Artikel „Zeil Hub” beschrieben hatte).
Aufgrund der Vielzahl dieser Tätigkeiten fiel es mir daher immer schwer, meine genaue Arbeit zu definieren. Und es geht ja nicht nur um eine kurze Anwort für das Gegenüber, sondern auch um für sich selber einen Plan zu haben, was man eigentlich beruflich machen und in welchem Bereich man weiterkommen möchte. Mir geht es nie ums Geld, denn das kann man immer verdienen und so viel benötige ich nicht zum Überleben. Aber inhaltlich muss es stimmen und ein Weiterkommen erlauben.
Museum
Letztes Jahr Ende April bekam ich eine Anfrage einer befreundeten Kuratorin, die in einem Frankfurter Museum händeringend Ersatz für den ausgefallenen Ausstellungstechniker gesucht hatte. “JKE, kannst Du nicht??…oh bitte!”. Das wollte ich eigentlich nicht, weil ich ja die beiden o.g. Ausbildungen habe und mich eigentlich nicht in einem Museum um irgendwelche altmodischen Dinge kümmern möchte, wenn die Welt aus meiner Sicht ganz andere Probleme hat. Auch hatten meine Eltern bereits im chronisch knapp finanzierten Kulturbereich gearbeitet: Es ist sehr ernüchternd, wenn man berufliche, gesellschaftlich relevante Dinge rein aus finanziellen Gründen nicht umsetzen kann. Wir sehen es aktuell an den Schließungen der Goethe-Institute im Ausland, weil lächerliche 24 Millionen Euro eingespart werden sollen. Das ist so bitter. Kurzum: Die Arbeit im Kulturbereich muss man wollen und ertragen können.
Aber man kann ja mal schauen und so ließ ich mich auf ein erstes Kennenlernen ein. Am ersten Tag zeigte man mir die Werkstatt im Keller und stellte die netten Kollegen vor. Diese Kollegen, die einen immer anrufen, wenn sie Feierabend machen und sich somit abmelden. Wo man sich als Team begreift, das sich gegenseitig unterstützt und vertritt. Mir ist das wichtig. Als dann noch der Stundensatz zur Einsatzhäufigkeit passte (2x / Woche), hatte ich zugesagt und 7 Monate lang einen Kollegen vertreten. Dinge reparieren können und dafür bezahlt werden – welcher Ü40 Diplom-Ingenieur träumt nicht von so einem praktischen Job?
Später wurde die Stelle als „IT- und Medientechniker” frei, auf die ich mich ohne viel Nachdenken beworben habe. Meine erste Bewerbung auf eine Festanstellung nach Jahren. Das Anschreiben schrieb ich in einem Rutsch herunter, es fühlte sich richtig an, ich kannte den Laden bereits und bekam den Job natürlich auch – zumal die keinen interessierteren Typen für den Job bekommen werden. Ich fühle mich seit dem ersten Tag an für die Dinge dort verantwortlich und kannte bereits nach kurzer Zeit viele Besonderheiten der Liegenschaft. Die größte Erkenntnis bei Arbeitsbeginn war vor allem, welche Kosten und Pflichten durch den Betrieb eines öffentlichen Gebäudes entstehen. Das muss auch erstmal alles finanziert werden. Ich hatte für mich jahrelang auch aus genau diesen Gründen nur Home Office betrieben, um meine Fixkosten möglichst gering zu halten.
Woanders würde ich sicherlich etwas mehr verdienen, anders weiterkommen und noch viel tollere Dinge machen. Mir aber macht der neue Job Spaß und ich kann all das machen, was ich in den Jahren davor bereits gemacht habe. Vor allem kann ich auch den Hund ins Büro mitbringen, was mir sehr wichtig ist und die Lebensqualität verbessert. Ich kann eigene Projekte anstoßen, Dinge direkt umsetzen, kann gestalten und mitprägen, habe technische Projekte mit Bastelkomponente, muss mich körperlich bewegen (ideal bei Übergewicht), verstehe die Abläufe alle so als wenn ich jahrelang nichts anderes gemacht hätte (also auch die (stiftungs)rechtliche oder buchhalterische Komponente) und habe dazu noch einen tollen Blick vom Büro in einem Altbau am Frankfurter Mainufer, inklusive Laufstrecke für die Hunderunde.
Flaschenaugust
Und dann kommen im Museumsbetrieb noch die Veranstaltungen dazu, zu denen auch Gäste ins Haus kommen, die vielleicht sonst eher nicht den Weg ins Museum finden würden. Ich arbeite bereits in einem soziokulturellen Zentrum mit, bei dem es Lesungen und vor allem Konzerte gibt.
Manchmal gehe ich dort abends zu den Konzerten und mache den Flaschenaugust, weil mir das so einen Spaß macht und es für Sicherheit im Veranstaltungssaal sorgt. Man bekommt etwas von der Musik mit, kann sich aber zugleich sinnvoll betätigen und – tadaa – für Ordnung sorgen. I am too German on this, I guess.
Veranstaltungstechnisch sind diese Orte nicht ideal, aber in einer Stadt wie Frankfurt/Main sind gute und bezahlbare Veranstaltungsorte Mangelware. Jedes Museum, jeder Veranstaltungsort möchte natürlich möglichst viele und interessierte Besuchenden im Haus haben. Wir brauchen diese Veranstaltungen, die Veranstaltungsorte und es lohnt sich immer! Es gibt bereits genügend passive Konsumkultur in dieser Stadt.
Seit einigen Jahren veranstalte ich mit einigen Freunden auch den Webmontag Frankfurt, bei dem Menschen von ihren Projekten erzählen. Gerade die Vorträge über die Freizeitprojekte sind oft sehr leidenschaftlich, und es macht Spaß, den Vortragenden und ihren leidenschaftlichen Themen zuzuhören. Vor allem aber, und das ist meine Motivation dahinter, ist es mir immer wichtig, dass die Leute an einem Ort zusammenkommen (online oder offline) und sich austauschen. Dann passieren oft die besten Dinge. Das ist genau der Grund, wieso ich seit Jahren den Webmontag mitorganisiere und auch am regionalen BarCamp teilnehme. Man muss selber aktiv werden und auf die Leute zugehen. Beim Webmontag stehe ich vorne am Eingang und kenne so fast alle Teilnehmenden. In einer kleinen Stadt wie Frankfurt/M. treffe ich so immer wieder bekannte Gesichter wenn ich irgendwo auf der Zeil unterwegs bin. Für jede Sozialphobie ist das auch ein sehr gutes Training.
Jetzt aber!
Was mache ich also genau? Jetzt mit 48 Jahren kann ich endlich sagen, dass ich “IT- und Medientechniker” bin. Mir reicht das. Ich muss niemandem meine akademischen Fähigkeiten beweisen, brauche keinen permanent head damage (PhD) auf einen Minifokusbereich, ich verdiene nur für mich und meinen Hund, habe überschaubare Kosten, muss wirklich niemandem etwas beweisen ausser mir selber, komme fachlich etwas weiter, kann viel basteln, kann jederzeit den Hund streicheln, kann für Ordnung und Struktur sorgen, kann Prozesse und Systeme optimieren, kann kostenbewusst planen, vielleicht den Einkauf etwas optimieren, komme auf meine Schritte jeden Tag und kann dann noch mit der Arbeit dafür sorgen, dass Besuchende im Museum mit Technikkomponente ihren Horizont erweitern können und etwas lernen. Da bin ich als Lehrerkind halt auch immer daran interessiert, das die Leute etwas lernen und Eindrücke, Erfahrungen mitnehmen. Das klappt in einem Technikmuseum vielleicht auch besser als in einem Kunstmuseum.
Mit fast 50 nochmal seinen Beruf wechseln können und das machen, bei dem man selber ein gutes Gefühl hat: Wer kann das schon wirklich so machen? Also auch mal auf einen Teil des Gehalts verzichten können. Nicht immer nur die Karriereleiter hochklettern. „Als Programmierer wäre ich denen zu teuer”, sagte mir ein befreundeter Banker letztens, als er über seinen Job sprach. Er sucht gerade ein Zweitstudium, um fachlich und geistig weiterzukommen. Um eine Tätigkeit mit mehr gesellschaftlicher Bedeutung zu finden, wo es nicht nur ums Themenfeld Finanzen geht.
Dieser neue Job, den ich jetzt zum Anfang des Jahres angefangen habe, der mein Leben etwas verändert und mich zu so einem langen Blogpost veranlasst: Es war die richtige Entscheidung. Für so jemanden wie mich, dem es eher um Inhalte und innere Zufriedenheit geht, der sich irgendwo gerecht in der Welt verorten und mit anderen Menschen gemeinsam etwas aufbauen und erhalten möchte, für den funktioniert so ein Job ganz gut.
Wie cool! Habe beim Lesen auch richtig “gehört”, dass es dir Spaß macht und es genau Dein Ding ist.
Noch dazu fühle ich mit dir und behaupte zu wissen, was in Deinem Kopf so vor sich geht. <- weißt (hoffentlich) wie ich das meine.
Freue mich für Dich!
Dankeschön!
Alles, was du mit Leidenschaft machst, kannst du! Denke immer wieder mal an dich und weiß, bei “uns” wärst du versauert 😜 schön, dass du angekommen bist für den Moment, Grüße
Dankeschön! Denke auch öfter an meine geliebte GTZ…