Heute Abend habe ich zwei Stunden in der Küche gestanden und für mich und die Mitbewohnerin ein südindisches Gericht gekocht: Mit Idli, einem Sambar aus Gemüse und Gurkensalat mit einem Erdnusschutney. Ich koche gerne und es ist wie beim Basteln die geistige Erholung, die mich reizt. Alles ohne Produkte tierischen Ursprungs, und die Inspiration zum schmackhaften Gurkensalat (nämlich die Kombination aus Gurken und Erdnüssen) kommt für mich aus der ayurvedischen und der nordchinesischen Küche.
Ich mag auch Fleisch und Fisch. Sehr gerne übrigens Steak oder Wiener Tafelspitz, und beim Fisch natürlich Sashimi (roher Fisch). Von der Fleischzubereitung habe ich aber ehrlich gesagt fast überhaupt keine Ahnung und müsste eigentlich mal gezeigt bekommen, wie man ein schönes Steak beim Einkauf erkennt und richtig zubereitet. Mit dem rohen Fisch verhält es sich auch ähnlich – so etwas esse ich lieber außer Haus. Das liegt aber auch daran, dass ich all diese schönen Dinge alleine essen müsste, denn meine Mitbewohnerin ernährt sich seit ca. zwei Jahren nur noch vegan. Kein Problem eigentlich, weil wir sowieso getrennt wirtschaften, aber alleine zu essen ist irgendwie doof. Vor diesem Hintergrund also ernähre ich mich in letzter Zeit immer öfter vegan und sehe darin auch keinen Nachteil für mich – freue mich aber auch immer, wenn ich mal nen richtiges Steak oder japanisches Essen serviert bekomme. Und in der japanischen Küche gibt es wirklich Dinge, die jeden Veganer zum Weinen bringen könnten (aber geil schmecken).
Der Trend
Durch diese gelegentliche vegane Ernährung also wird man schnell in einen Topf geworfen mit den vielen Hipstern, die das in letzter Zeit irgendwie in Mode gebracht haben. Eigentlich ein schöner Trend, aber unschön wenn es nur so als Trend gewertet wird. Besonders deutlich wird das meiner Erfahrung nach bei Instagram, wo die Verschlagwortung von Bildern wohl weniger ein Symptom der Aufmerksamkeitsökonomie darstellt, sondern eher der fehlenden Navigation dort dient. Wenn man sein Foodie-Bildchen dort mit “#vegan” taggt, bekommt man innerhalb von Minuten die ersten Likes. Im Vergleich zu früher ist da ein Trend zu mehr veganem Content online erkennbar.
Wer sich also freiwillig oder zwangsweise vegan ernährt, wird teilweise auch die folgenden Situationen erleben:
1. Boah, “Was kannst Du denn dann noch essen?” ist wohl die Standardfrage, die meine Mitbewohnerin jedes Mal gestellt bekommt. Ihr homosexueller Kollege frug das letztens und eigentlich müsste man dann die Gegenfrage stellen, wie das denn dann funktionieren soll, wenn da beim Geschlechtsverkehr die Vagina fehlt. Ja, is doof, aber merkste selber, nich?
Wenn ich also meine Instagram-Bilder mit #vegan vertagge, dann geschieht das vor allem aus der Motivation heraus, diese Frage nach dem Restessen zu beantworten und mit meinem Bildchen zum großen Fundus an veganen Kochideen beizutragen, die sich mittlerweile im Internet tummeln.
2. Die vegane Ernährung wird von meiner Mitbewohnerin normalerweise nicht angesprochen. Wenn sie dann von Nicht-Veganern darauf angesprochen wird, soll sie es erklären und landet dann meistens in dieser Ecke, in der Argumente für eine vegane Ernährung verteidigt werden müssen. Das will sie gar nicht und ärgert sich dann, weil es doch eigentlich ihre Entscheidung ist, wie sie sich ernähren will. Viele fragen auch eher so rhetorisch, weil sie vegane oder auch schon vegetarische Ernährung ganz schrecklich finden und nur bestätigt bekommen möchten, wie freaky diese Veganer eigentlich sind.
Sicherlich gibt es auch Menschen, die den Veganismus durch Schockbilder verbreiten wollen und auf Konfrontation gehen, um ihre Position zu verdeutlichen. Bei all der Kritik, die den Veganern entgegen schlägt, kann ich diese Haltung oft nachvollziehen, halte sie aber rhetorisch für absolut falsch und kontraproduktiv.
Überhaupt, dass sich die Menschen aufgrund der Ernährungsform streiten, ist etwas schade und geht aus meiner Sicht an der eigentlichen Problematik bzw. dem notwendigen Diskurs zur Nahrungsversorgung vorbei.
3. “Bekommst Du dann auch genügend Nährstoffe?”. Ja, und das wird sogar anhand von Blutwerten regelmäßig überprüft. Welcher Nicht-Veganer macht das sonst? Bekommen die auch genügend Nährstoffe? Bei all den Fertiggerichten und den Zusätzen in der Lebensmittelindustrie ist eine ausgewogene Nährstoffversorgung sicherlich auch keine Selbstverständlichkeit (obwohl dort wohl noch eher kontrollierbar und so vermute ich bisweilen auch, dass die Anhänger dieser Ernährungsart viel besser mit den heutigen Umweltgiften klarkommen. Oder wie Peter sagt: “Die Körnermuttis meiner Klassenkameraden aus den 80ern hatten alle Krebs und sind schon tot.”).
Der Mitbewohnerin bekommt die vegane Ernährung übrigens sehr gut (reinere Haut, Gewicht, usw.) und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das nochmal ändern wird. Natürlich gibt es da manchmal Stress, weil ich in meine chinesische Gemüsepfanne gerne einen Schuss Oyster Sauce (9,5% Austernextrakt) hineinmische und so etwas dann alleine essen muss, aber da stören mich andere Dinge noch viel mehr als so eine Kleinigkeit.
Kreislaufwirtschaft
Ich bin auch gespannt, wie sich die Menschheit in 30 Jahren ernähren wird und wie sich diese stofflichen Frachten verteilen werden. Meine chinesischen Morcheln oder der Knoblauch aus China (achtet mal darauf, wo der herkommt – fast überall nur aus China) – wie wachsen die eigentlich und wer versichert mir, dass die nicht mit schwermetallhaltigen Abwässern gedüngt worden sind? Welcher Fisch/Seetang aus dem Pazifik ist jetzt eigentlich durch Fukushima verstrahlt und welcher “nur” mit verklappten Schwerölen oder dem feinen Plastikmüll (größtenteils sind das wohl feinste Fasern) verseucht? Die Tomaten ausm spanischen Gewächshaus – auf welchem Substrat wachsen die und wie viel Energie wird für deren Produktion benötigt? Woher kommt diese Energie? Und was geschieht mit dem Abwasser – wird das auch auf Mikroverunreinigungen hin untersucht, oder nur auf die paar Grenzwerte, die der Gesetzgeber vorschreibt? Wie verbleibt dieser Sonderabfall in unserem Kreislauf und wo reichert er sich an? Wieso gibt es in den ariden Ländern so viel wasserintensive Landwirtschaft, und wieso importieren wir dann noch Lebensmittel von dort, die größtenteils nur aus Wasser bestehen? Wieso wird genmanipuliertes Saatgut gezüchtet und wieso wird immer wieder künstlicher Dünger energieintensiv abgebaut? Ließe sich eine umweltverträgliche Kreislaufwirtschaft für Lebensmittel aufbauen, die genau so fakturierbar ist wie die derzeitige Industrialisierung des Nahrungsmittelsektors? Überhaupt: Welchen Stellenwert hat die Produktion von Lebensmitteln und wie beeinflussen wir als Konsumenten diesen Ablauf?
DIESE Fragen möchte ich bei der gesamten Diskussion zum Thema eigentlich viel öfter mal hören und beantwortet bekommen, da sie aus meiner Sicht für die Menschheit von größerer Bedeutung sind, als eine Diskussion um eine vegane, vegetarische oder omnivore Ernährung.
Wieso eigentlich vegan?
Die vegane Ernährung sehe ich daher auch primär als Mittel, um die Ernährung genauer kontrollieren zu wollen und etwas mehr Selbstbestimmtheit in diesen Prozess zu bringen. Vielleicht ist dieser Wunsch zu mehr Selbstbestimmtheit auch die Ursache für den veganen Trend, da es so in dieses “schaut her was ICH mache”-Ding der Gegenwart passt. Es passt auch wunderbar zum Designempfinden vieler Gestalter (“weniger ist mehr”) und der Reizüberflutung in der heutigen Informationswelt, der man durch die selektive Ernährung bewusst etwas entgegensetzen möchte. Wenn man sich auf so eine Argumentation einlässt, kann man den Trend also leicht deuten und herleiten, alleine: Meine Mitbewohnerin macht das als logische Konsequenz ihrer Ernährungsumstellung, die sie seit dem 14. Lebensjahr als Vegetarierin bewusst gewählt hat. Eine Bekannte ernährt sich vegan, weil ihr Körper bei der Verdauung von Milchprodukten Schwierigkeiten macht. Es hat wohl jeder seine Gründe, wieso eine Ernährungsform so einen Stellenwert bekommt.
tl;dr
Veganer haben eine große Auswahl. Veganer wollen ihre Ernährungsform nicht verteidigen müssen und haben ihre Gründe. Eine Mangelernährung findet nicht statt. Noch wichtiger als vegan / vegetarisch / omnivor ist aus meiner Sicht eine Diskussion um die Produktion unserer Lebensmittel.
Udpate 2020
Die Mitbewohnerin ist mittlerweile ausgezogen, die vegane Ernährung hat sich jetzt – sechs Jahre später – gesellschaftlich mehr etabliert, die Gründe werden nicht mehr so hinterfragt und ich ernähre mich weiterhin omnivore, esse also alles was aufm Teller landet. Das aber sehr bewusst, daher gibt es Fleisch nur außer Haus oder wenn ich irgendwo eingeladen bin. Ich vermisse es nicht im Alltag und lebe gut ohne all diese Dinge.
Ersatzprodukte
Mittlerweile gibt es auch viele (gute) Fleisch-Ersatzprodukte, wobei diese auch in 2020 noch komplett falsch vermarktet und verstanden werden. Diese neueren Ersatzprodukte, die einen Geschmack oder ein Essgefühl ersetzen bzw. simulieren sollen, werden oft als “vegan” deklariert und der normale Konsument nimmt es dann so wahr, dass es sich dadurch an Veganer richtet. Ich kenne aber keine*n Veganer*in, der/die diesen Geschmack gut findet und ernsthaft einen Geschmack haben möchte, den man eh nicht vermisst. Diese Produkte – und vor allem die richtig krassen Fleischimitate – richten sich also nur an solche Menschen, die sonst auch gerne Fleisch essen und aus anderen Gründen nach Alternativen suchen. Leider leben wir ja in dieser Welt, in der argumentativ immer automatisch vom Umkehrschluss ausgegangen wird, und so ist es dann nicht verwunderlich dass so ein Label (“vegan”) eher als falsch verstanden wird.
Vegan als Basis, nicht als Ausnahme
Ein anderer, mir wichtiger Punkt zum Thema vegane Ernährung, ist die Wahrnehmung der Ernährungsform: So wie Shampoos und andere Produkte des alltäglichen Gebrauchs immer wieder mit “Frei von …” bezeichnet werden, also das Fehlen eines oder mehrerer Inhaltsstoffe als Merkmal herausgestellt wird (was soll das?), so wird das Label “vegan” oft auch nur verwendet, um ein exotisches Produkt zu bewerben / beschreiben. DAS ist aber aus meiner Sicht der komplett falsche Marketingansatz. Für mich ist die vegane Ernährungsform die BASIS von allem. Alles andere – Milchprodukte, Eier, Fisch, Fleisch – sind für mich die Ausnahme und ein Zusatz. Anstatt also “vegan” immer so als Exoten darzustellen, sollte es als die Basis verstanden werden. Pommes mit Wurst? Nur die Pommes sind doch oftmals schon vegan. Die Wurst ist dann das Extra. Kein großes Ding, alle sind happy, dafür braucht es auch kein extra Label, das nur eine falsche Wertung suggeriert und vermeintliche Unterschiede aufzeigt anstatt zu helfen.
Labeling
Viele verarbeitete Lebensmittel sind sogar bereits vegan und könnten sich noch viel besser verkaufen, wenn das Label insofern als beschreibendes Merkmal verwendet werden würde. Die Hersteller verzichten aber teilweise drauf – vielleicht weil sie nicht darauf achten, vielleicht weil sie ihre Produkte nicht als “vegan” deklarieren möchten? Ich kann es nur vermuten, finde aber dieses ganze Wertungschema mit dem veganen Branding unheimlich vorbelastet und weiterhin extrem nervig, wenn dann jeder “Experte” zusätzlich noch seine unqualifizierte Meinung zu dem Thema ungefragt mitteilen muss. Und wenn dann in den Medien ein Artikel über einen Berliner Verschwörungsspinner erscheint und dieser als “der vegane Koch” bezeichnet wird, dann macht mich das unheimlich wütend. Das ist genau so ein Schwachsinn, der dann zu dieser Bewertung bzw. Abwertung der veganen Ernährungsform führt, wie wir sie in Deutschland immer wieder erleben.
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