Auf ein Wort vorm Bildschirm…

Während die freie Welt gerade ihre Grenzen aufgezeigt bekommt und sich digitaler Kanäle zur freien Kommunikation bedient, sitze ich aufm Sofa und blättere in der aktuellen Ausgabe der “Für Sie“. Auf der dritten Seite nach der Werbung stolpere ich im Editorial über folgenden Abschnitt:

wie wollen wir leben

>>…zog es mich in eine Fußball-Kneipe. Der Laden wurde immer voller, und plötzlich saß eine Frau neben mir, die sofort zwei (!) Smartphones aus ihrer Tasche holte. Während ich jedes Tor von Lewandowski mit Jubelschreien feierte, war die Dame in ihre eigene Welt abgetaucht. Eine Minute auf den Fernseher schauen, dann wieder simsen, dann telefonieren (sie verstand kein Wort), so ging das 90 Minuten lang.” (….) Völlig fremdbestimmt von ihren kleinen “Zeitfressern” hatte sie die Zeit vergesssen, den Fußball zu genießen – für den sie ja schließlich in die Kneipe gekommen war. <<

Natürlich könnte ich an dieser Stelle einfach schmunzeln und es wie immer einfach ignorieren. Wer liest schon das Editorial in so einer Wartezimmerzeitschrift, und überhaupt, warhscheinlich denkt die gewönliche Leserzielgruppe ebenso. Aber ich möchte doch gerne folgendes anmerken – zum Internet, unserer Arbeitsweise heutzutage und dem Stellenwert des Ganzen:

1. Im Internet sind wir alle gleich
Diesen schönen Satz las ich neulich so oder so ähnlich in einem Interview mit Raul Krauthausen, der über Menschen mit Behinderungen berichtet. Was so viel heißt wie: Wir können trotz unterschiedlicher Motivation und Vorgeschichte (fast) alle auf einem Level miteinander kommunizieren. Das erinnert natürlich auch stark an das Cluetrain Manifest von 1999, in dem es um das Verhältnis von Unternehmen und ihren Kunden im Zeitalter des Internets geht. Das Internet – und man muss sich das immer wieder vor Augen halten, auch wenn es eigentlich selbsterklärend ist und mittlerweile auch selbstverständlich sein sollte – ermöglicht eine ganz andere Form der Kommunikation, die den körperlichen Bereich ausschließen und sich nur auf die geistige Ebene beschränken kann. Bewegunslos ans Bett gefesselt sein und trotzdem über einen Sprachcomputer oder über Google Glass mit der Welt kommuninizieren zu können – all das ermöglicht das Internet.

2. Onlinekommunikation hat den gleichen Wert wie Offlinekommunikation
Viele meiner Onlinefreunde habe ich noch nie in Person getroffen. Über soziale Netzwerke habe ich guten Kontakt mit Menschen in der ganzen Welt, mit manchen verbinden mich jahrelange Freundschaften und ein richtiges Vertrauen, das sogar soweit geht, dass mir manche Menschen ihre Logindaten geben, damit ich aus der Ferne ihre WordPress Blogs von Malware befreie. Selbstverständlich ist das nicht, aber dennoch wünschenswert und schön.
Ein Kollege arbeitet auch ständig online und hat für das Redesign seiner Websites eine kubanische Designerin beauftragt, die er noch nie persönlich getroffen hat. Die Kommunikation erfolgt seit Jahren nur via Skype und das Ergebnis kann sich trotzdem sehen lassen.
Vor ca. drei Jahren schrieb ich an dieser Stelle schon einmal über diese neue Welt, in der Onlinekommunikation den gleichen Stellenwert hat wie offline. Ich werde aber immer wieder daran erinnert, weil selbst Blogger und andere Onlinearbeiter bei Bloggertreffen wie der re:publica oder BarCamps Wert darauf legen, sich offline zu treffen und ein gemeinsames Bierchen zu heben. Was so viel heißen soll wie: diesen Menschen habe ich real getroffen und kann ihn einordnen. Wahrscheinlich rührt diese Mentalität auch noch aus der Anfangszeit des Internets her, als Rollenspiele und Chats im Vordergrund standen und das Internet eine andere Möglichkeit der anonymen Kommunikation bot. Im Gegenzug könnte ich nämlich die Frage stellen, ob sich durch diese Offline-Bekanntschaft irgendwas am Beziehungsstatus ändern würde? Ist das Arbeitsergebnis einer digital beauftragten Leistung besser, wenn sich Auftragnehmer und Auftraggeber auch offline – also persönlich zum Anfassen – getroffen haben?

3. Sharing is caring
Für manche Menschen ist das Leben vor allem dann schön, wenn man Dinge miteinander teilen kann. Ich bin einer dieser Menschen. Einen Gedanken für mich alleine auszubrüten und diesen ewig mit mir herumzuschleppen – ständig mit der Gefahr, dass man ihn wieder vergessen würde – das wäre ganz schrecklich und sehr unproduktiv. Im Wissensmanagement, wo es auf genau dieses Teilen von Wissen ankommt, geht es oft eher um die passenden Tools, damit Mitarbeiter ihr Fachwissen nachhaltig aufschreiben können – und weniger um den Prozess des Teilens als solches. Und obwohl ich mich als Technikmensch natürlich sehr für Tools begeistern kann, so weiß ich doch auch, dass diese soziale Kompetenz des miteinander Teilens keineswegs selbstverständlich ist und mindestens genauso wichtig ist wie die richtige Software. Diese Kultur des Teilens, das Selbstverständnis zum Miteinander, das mit der modernen Gesellschaftsform immer weiter in den Hintergrund tritt und in der Offlinewelt womöglich auch einen Wettbewerbsvorteil verspricht, darf online nicht genauso vernachlässigt werden. Das Internet mit all seinen vielfältigen Inhalten wäre nicht so selbstverständlich, wenn wir nicht alle ständig hineinschreiben würden. Gute Inhalte würde es sonst nur von Journalisten und professionellen Bloggern geben, automatisierte Inhalte nur von Bots und inhaltslose SEO-Seiten von Content Farms. So ist es nicht verwunderlich (und aus meiner Sicht gut), wenn Vorzeigeblogger wie Sascha Lobo mehr eigene Inhalte im Internet fordern. Dieses ganze Onlinegedöns in den sozialen Netzwerken mit Twitter und Facebook betrachte ich übrigens als einen Teil dessen. Witzigerweise sind es in meinem Freundeskreis gerade die sog. Offliner (also: Online-Dooffinder), die in anderen Kanälen wie WhatsApp jede Befindlichkeitsstörung als Meldung verschicken – gleichzeitig aber Facebook, Google+ und Twitter als Teufelszeug missachten. Hach ja…

Vor diesem Hintergrund also sitze ich auf dem Sofa, lese das Editorial in der Frauenzeitschrift und denke mir nur: was soll das? Was hat aktive Onlinekommunikation mit einem Artikel über “die neue Volkskrankheit Burnout” zu tun, und wieso verbreitet diese Journalistin so eine Offliner-Einstellung?