Keltern mit der Seilschaft in Bad Vilbel

Ein guter Tag zum Keltern! Gleich geht’s los…

„Wir haben den ganzen Tag gearbeitet und mittags gab es die beste Grillwurst, die ich je gegessen habe”, erzählte mir Simone letztes Jahr begeistert von ihrer ersten Erfahrung beim Keltern von Äpfeln. Auf einem Resthof in der Bad Vilbeler Innenstadt trifft sich dazu einmal im Jahr eine bunt gemischte Gruppe (die sich überwiegend aus dem Eintracht-Forum oder über die sozialen Medien kennt), die wirklich den ganzen Tag lang schuftet und am Ende aus einer großen Menge Äpfeln frischen Saft presst, der über ein Rohrleitungssystem in großen Fässern im Keller abgefüllt wird.

Vermutlich der einzige Ort, an dem Comic Sans erlaubt ist.
Ich wollte dieses Mal unbedingt dabei sein und freute mich daher sehr, dass sich dieses Jahr wieder die Möglichkeit dazu bot und die Äpfel aufgrund der Wetterlage (viel Sonne, kaum Regen) zwar nicht so sehr im Saft standen, dafür aber zeitiger abgeerntet werden mussten. Und mit dem Ernten fängt es noch nicht einmal an — die gepachteten Apfelbäume auf diversen Streuobstwiesen im Bad Vilbeler Umland müssen das Jahr über beschnitten und gepflegt werden, sonst fällt die Ernte eher mager aus.

So viele Äpfel!
Am Erntetag fährt der Trupp an Freiwilligen früh raus aufs Feld, stoppelt die bereits abgefallenen Äpfel auf und sortiert die angeschimmelten Äpfel sofort wieder aus, denn diese würden später den Geschmack des Getränks verändern. In der Natur gibt es keinen Abfall, daher werden die faulen Äpfel in Richtung Stamm geworfen, damit sie dort ihre Nährstoffe wieder zurück an den Baum geben können.

*schüttel, schüttel*
Ist alles soweit geklärt, werden Kunststoffplanen ausgelegt und an den Zweigen der Bäume ordentlich gerüttelt, damit alle reifen Äpfel von selber herunterfallen. Und wieder heißt es: Auflesen und wegsortieren. Wer hier sorgfältig arbeitet und auch Zweige aussortiert, erspart sich hinterher viel zusätzliche Reinigungsarbeit. So geht das Baum für Baum weiter, bis die ganze Baumreihe größtenteils abgeerntet ist.

Ein kleiner Teil der Ernte :-)
Wer dann so einen Vormittag in gebückter Haltung in der Natur verbracht hat, der weiß das Endprodukt viel mehr zu schätzen. Eigentlich sollten alle Liebhaber von Apfelgetränken diese Arbeit mindestens einmal in ihrem Leben selber verrichtet haben, damit sie den Aufwand viel besser einschätzen können und den „scheenen Göddertrobbe” noch mehr wertschätzen. Viel wurde ja bereits in den letzten Jahren über guten Apfelwein geschrieben (z.B. „Süß, Sauer, Pur”, herausgegegeben von Andrea Diener und Stefan Geyer; oder „Das Hessische Äppelquartett”), aber so selbstverständlich wie der eigentliche Konsum des Getränks ist die Herstellung nicht.
Waschen, schneiden, pflegen
Den kompletten Anhänger voller Äpfel geht es dann zurück zum Resthof, wo die restliche Truppe schon auf die Weiterverarbeitung wartet und die Äpfel erstmal wäscht — und wieder aussortiert. Nur die besten Äpfel kommen weiter, der Rest geht zurück in die Natur. Die gewaschenen und entstielten Äpfel werden in einer Reibe zur Maische verarbeitet, die dann mit der Hand in sieben Lagen auf Siebblechen verteilt und sofort gepresst wird. Auf bis zu 120–150 kp/cm² drückt die alte Hydraulikpresse den Saft aus der Maische, der sofort abgepumpt und in 600 l Tanks im Keller geleitet wird. Zurück bleibt trockener Apfeltrester, der an die Schafe verfüttert und wieder zurück auf der Wiese verteilt wird. Ein schönes Kreislaufsystem, das wohldurchdacht ist und keinen Abfall produziert.

Ab ins Mahlwerk, wo die Äpfel zerstoßen werden müssen, damit sich richtig ausgepresst werden können.

Motivation

Wie kommt man dazu, an einem sonnigen Septembersamstag freiwillig bei so einer doch körperlich intensiven Arbeit mitzuhelfen? Weil es interessant ist; weil man dabei in geselliger Runde draußen in der Natur arbeitet; weil der Apfel ein Naturprodukt ist und die schnelle Vergärung und anschließende Lagerung des Saftes eine sorgfältige und hygienische Kelterung verlangt; weil man sich selber mal einen Eindruck von der arbeitsintensiven Herstellung machen möchte, und weil — und das ist eigentlich der wichtigste Grund — es ein traditionelles Handwerk ist, das durch die Verstädterung der Menschen und sich verändernder Lebensräume immer weiter abnimmt und daher am Leben erhalten werden sollte. Wohlgemerkt, es geht dabei nicht nur um das Endprodukt, sondern auch um den ganzen Herstellungsprozess und diesen Bezug zur Natur. Dass die Bäume jedes Jahr Früchte tragen, ist nämlich nicht so selbstverständlich und so gab es auch dieses Jahr etliche Bäume, die durch einen Schädlingsbefall in ihrer Produktion eingestellt waren.

Artenvielfalt

Natürlich geht es auch um den Erhalt der Streuobstwiesen und deren Artenvielfalt. So war jede geerntete Sorte anders, von klein bis groß, von hellgrau-grün bis tiefrot, von sauer bis süß — aber keiner mehlig —das ist schon eine große Bandbreite, die so eine Ernte umso interessanter macht. Alte Sorten haben eine andere Lagerfähigkeit, sind nicht auf den Konsum hin optimiert und haben neben ihrem eigenen Charakter auch ihre ganze spezielle Tauglichkeit für die Herstellung von Apfelwein. Das ist alles schon eine ganz andere Erfahrung und Wertigkeit als wenn man das 6er Pack gleichgroßer Äpfel aus Neuseeland bei Aldi kauft.

Sorgfältig werden die Hygienevorschriften eingehalten.
„Pflege für Pacht”, antwortete mir Olli auf die Frage, was so eine Streuobstwiese im Jahr kosten würde. Olli ist einer der Veranstalter und hatte vor einigen Jahren mit einigen Kumpels die Idee, selber zu keltern. Einfach mal selber Apfelwein produzieren, weil man den dafür nötigen Kellerraum hat und übers Jahr verteilt mit der Gruppe wohl selber 600 Liter Apfelwein konsumiert.

Die Hydraulikpresse
„Wir haben Anzeigen geschaltet und aktiv nach solchen Bäumen gesucht. Wir pflegen die Bäume das ganze Jahr über und ernten einmal im Jahr.” Wer selber Obstbäume im Garten hat und die Früchte nicht alle abernten oder verarbeiten kann, wird das Problem sicherlich kennen. Sich die Zeit für all das zu nehmen und jeden einzelnen Apfel zu untersuchen, ist ein wunderschöner Luxus und auch schon Grund genug, wenigstens an einem Tag im Jahr bei der Ernte dabei zu sein und das alles erleben zu können. So schmeckt der Apfelwein nach einem Vierteljahr Reifezeit noch viel besser, und besser als die kommerzielle Variante aus dem Supermarkt allemal.
Die vollen Tanks nach einem Arbeitstag. Der klare Schnaps dient nur zur Desinfektion der Probenbehälter.

Eine helfende Hand wird immer gesucht und neben der bereits erwähnten fabelhaften Bratwurst füllt Euch Olli vielleicht noch etwas frisch gepressten süßen Apfelmost ab. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Ernte im nächsten Jahr genauso gut wird und einige von Euch dann dabei sein werden, weil ihr das jetzt auch mal alles kennenlernen möchtet. Prost!

Abfall ist Nahrung: Apfeltrester für die Schafe.
Update 2025: Ich war in den Folgejahren fast immer dabei, es lief immer genau so ab und ist immer einer der besten Tage des Jahres. Wer in FFM & Umgebung wohnt und das noch nicht kennt: Es lohnt sich sehr und wir freuen uns immer über gute, interessierte und hilfsbereite Teilnehmende!

Author: jke

Hi, I am an engineer who freelances in water & sanitation-related IT projects at Saniblog.org. You'll also find me on Bluesky and Instagram.