Kurz aus der Stadt raus

In meinem Leben habe ich schon in mehreren Großstädten gewohnt, von denen Frankfurt die kleinste ist. Ich habe auch schon mal mitten aufm Land gewohnt, in Norddeutschland, fernab von Autobahnen und Stadtverkehr. Hier in Frankfurt wohnen wir zu einem sehr guten Mietpreis in einer schönen 76qm Wohnung mit großem Balkon und Blick auf den Wald (statt aufs Nachbargebäude, wie so oft in den heißbegehrten Stadtteilen). In 9 Minuten ist man mit der U-Bahn (Haltestelle direkt vorm Haus) in der Frankfurter Innenstadt. Durch die geologische Beschaffenheit befinden wir uns hier in einer Tiefebene, in einem alten Seitenarm des Mains, so dass die Luft aus dem Umland bestenfalls nur mit etwas Abstand über den Dächern hinwegfegt. Doof für meine Amateurfunkantenne, sehr doof für die Frischluftsituation. In keiner anderen meiner Städte war die Luft so schlecht wie in Frankfurt. Das kann doch nicht wahr sein? Ist aber so.

Die gemessenen Werte an meinem Feinstaubsensor, Quelle: https://www.madavi.de/sensor/graph.php?sensor=esp8266-1460016-sds011

Seit fast zwei Jahren betreibe ich an der Fensterbank zur Straße hin einen Feinstaubsensor, der neben der Temperatur, dem Luftdruck und der Luftfeuchtigkeit auch PM 2.5 misst und PM 10 daraus interpoliert. An dieser Straße staut sich seit Jahren täglich der Verkehr und zu einer Verbesserung wird es wohl erst kommen, wenn dort ein Tunnel fertiggestellt wird oder die Autos weniger schädliche Abgase und Reifen- sowie Bremsabriebe produzieren. In Frankfurt gibt es bisher drei offizielle Meßstationen für Feinstaub, die an ausgesuchten Standorten stehen und die anders messen, wissenschaftlicher. Das heißt, dass in diesen Messstationen ständig Luft eingesogen wird und von dieser eingesaugten Luft dann (mit einem hochwertigen Sensor) Messungen durchgeführt werden. Wer schon mal selber Dinge im Umweltbereich gemessen hat, der weiß, dass man da viele Fehler machen kann und eine falsche Probennahme schon der Anfang vieler Messfehler sein kann. Bei meinem Sensor läuft der Lüfter nur alle 2 Minuten, die Hardware soll dadurch geschont und die Lebensdauer des Sensors verlängert werden. Ich gehe davon aus, dass mein Sensor zu 80% richtig misst und die restlichen Werte Messfehler sind. Auch bin ich mir bewusst, dass mein Sensor nur PM 2.5 und PM 10 ausgibt, es zu einer belastbaren Bewertung noch weiterer Daten bedarf und das von einigen Aktiven betriebene Netzwerk aus Feinstaubsensoren vor allem dazu dient, Trends sichtbar zu machen. Wenn 10 räumlich relativ nahe Sensoren ähnliche Werte liefern, dann ist das Ergebnis zumindest einigermaßen verlässlich und aussagekräftig genug, um daraus Belastungszonen abzuleiten. Einer der Kandidaten bei der letzten Wahl hatte vorgeschlagen, dass man das lokale Sensoren-Netzwerk in der Politik dazu verwendet, Verkehrswege zu definieren. Leider wurde er nicht gewählt und dann kam der sog. “Dieselskandal”.

Weniger vom Schlechten statt mehr vom Guten

Seit dem Aufkommen des “Dieselskandals” und den eingeklagten Fahrverboten geht die ganze öffentliche Diskussion fast nur noch um drohende Fahrverbote, kriminelle Autohersteller sowie um rechtliche (Gewährleistungspflicht, Verantwortung) und finanzielle Fragen. Weniger geht es in den Diskussionen um die Luft, die wir hier einatmen. Luft, die wir zum Leben brauchen und die durch kein Geld der Welt bezahlbar ist. Die wir mit unserer Lebensweise auf diverse Arten verunreinigen und ihren Wert erst dann erkennen, wenn sie nicht mehr die gleiche – gute – Qualität hat.

Heute sind wir mit unserem Euro 4 Dieselfahrzeug (immerhin mit Dieselpartikelfilter) aufs Land gefahren, auf 420 m Höhe und haben dort bei der Hunderunde frische Luft geatmet. Wenn man die ganz Zeit lang in der Großstadt lebt und täglich 24h lang diese Luft hier einatmet (dazu auch noch Home Office), dann ist “frische Luft” ein sehr wertvolles Gut. Wenn die Mitbewohnerin seit Jahren jeden Morgen als Nichtraucherin starken Raucherhusten hat und wir beide über chronisch verstopfte Nasen klagen, dann ist das sehr wohl problematisch. Wenn man jahrelang der schlechten Luft ausgesetzt ist, dann zieht es einem die Energie aus dem Körper.

Manchmal wünsche ich mir, dass die dreckige Luft pink ist, denn dann würden die Menschen die verschmutzte Luft wohl eher wahrnehmen. So wie auch Viren auf unhygienischen Oberflächen oder Radioaktivität wird schlechte Luft bei uns nicht so wahrgenommen, weil man sie nicht sofort erkennt. In Städten wie Peking oder Neu Delhi ist  die Luftverschmutzung sicherlich deutlicher zu erkennen. Erst wenn man hier täglich Staub wischen darf und sich fragt, wie der bei geschlossenen Fenstern so zahlreich entstehen kann, dann begreift man das Ausmaß der Feinstaubbelastung und wundert sich, dass gesellschaftlich viel zu wenig dagegen unternommen wird. Heißt im Klartext: Die schlechte Luft wird nicht als Problem wahrgenommen, wohl aber die Angst vor Fahrverboten. Schlechte Luft wird nicht richtig thematisiert, es werden nur Messungen durchgeführt und bestenfalls Näherungswerte diskutiert, dabei ist das doch alles so eine falsche Genauigkeit. Statt sich an Messwerten, Grenzwerten und Messverfahren aufzugeilen und abzuarbeiten, müssen Lösungen gefunden werden. “Ach, so schlimm ist das doch alles nicht”, heißt es dann oft, “ich fahre meinen Diesel bis zum Ende”. Ja, ich werde das auch so machen und mache mich damit mit verantwortlich, aber ich sehe die Diesel auch nicht als das Hauptproblem. Als Hauptproblem sehe ich die schlechte Luft, die mir hier gesundheitliche Schäden verursacht und lauter Staub in die Bude bringt. Das Auto verwenden wir übrigens nur für Auswärtsfahrten und den gelegentlichen Einkauf.

Wir sollten anfangen darüber zu diskutieren, wie wir die Luft sauberer halten und wie wir die Auslöser der Luftverschmutzung so verändern können, dass sie nicht mehr ursächlich für die Verschmutzungsgrade sind. Stattdessen werden Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben, die Mobilität in Frage gestellt (statt einzelner Komponenten) und andere Verursacher werden weiter geduldet oder gar nicht erst erwähnt (Holzöfen, anyone?). Statt also positiv zu denken und positive Dinge zu vermehren, wird nur nach einer Reduzierung bei einem Teil der negativen Dinge geschaut. Das ist nett und sicherlich auch gut, wird uns aber auf lange Sicht nicht weiterbringen. Wir brauchen einen richtigen Plan. So wie auch ein Dieselfahrverbot nur in Verbindung mit Alternativen (ÖPNV oder finanzierbare umweltfreundlichere Fahrzeuge) Sinn macht, so brauchen wir mehr Strategien und den wirklichen Willen, das Ergebnis verbessern zu wollen und nicht nur einzelne Ursachen zu reduzieren. Alleine, genau an diesem Willen fehlt es bisher. Stattdessen wird in alle Richtungen gezeigt und dann ist man froh, mit den Dieseln einen Schuldigen gefunden zu haben.

In einem Artikel vom September 2018 wird ein chinesischer Ingenieur abgefeiert, der maßgeblich für den Erfolg von Elektromobilität in China verantwortlich gemacht wird. Nicht etwas die dreckige Luft in China und das schnelle Wachstum dort werden dabei als Ursache genannt, sondern der Wunsch der Chinesen, in einer Schlüsseltechnologie richtungsweisend und Weltmarktführer zu sein. Dieses komplett andere Selbstverständnis, sicherlich gepaart mit den vielen staatlichen Subventionen in China, mag als Ursache für den Erfolg von E-Mobilität in China gelten, und sie zeigt mir vor allem eines: Diskussionen um Verursacher und Verantwortlichkeiten ändern nichts an der Situation und halten nur auf. Es muss eine Strategie geben, den Wunsch zu einer Veränderung, so wie das vielleicht beim Ausstieg aus der Kernenergie ansatzweise erkennbar war. Dazu muss sich aber auch die Politik ändern, die nicht nur verzögert reagiert (wenn überhaupt), sondern ein klares Bild von den Zielen zeichnet. “Politik funktioniert aber nicht so”, wird dann als Einwand kommen, worauf ich nur antworten kann, dass sie sich genau deswegen auch ändern muss. Ich hoffe jetzt, dass es 2019 zu einer Verbesserung der Luftsituation kommt, oder wir ziehen einfach aufs Land und pendeln dann jeden Tag mit unserem Diesel in die Stadt, weil es einfach keine besseren Alternativen gibt. Und ganz ehrlich: Den Menschen etwas zu geben (~ umweltfreundlichere Fahrzeuge) ist immer besser als ihnen etwas wegzunehmen (~Fahrverbote). Alleine schon rhetorisch betrachtet ist die ganze bisherige Vorgehensweise also nicht gerade förderlich, auch wenn sie nicht absichtlich erfolgte (weil jemand geltendes Recht eingeklagt hat). Wir haben hier alle versagt, als Gesellschaft, weil wir die Themen den Politikern und damit der Industrie überlassen. Wir müssen neue Dinge richtig wollen, ohne dafür auf externe Anreize wie Prämien oder dergleichen zu setzen. Einfach mal fremden Müll aufheben wollen weil es Sinn macht und für uns alle besser ist.

Den Vermieter (die Wohnungsbaugenossenschaft) würde ich beispielsweise auch gerne fragen, ob sie sich schon Gedanken über Ladeboxen in der Tiefgarage gemacht haben. Als ich ihnen beim Einzug vor fast 10 Jahren vorschlug, das Dach der Tiefgarage zu begrünen, kam nur ein “watn dat?” als nicht gelöschte Antwort zwischen Kollegen zurück. Kompetenz und der Wille zur Veränderung sehen anders aus, es fängt aber genau dort an. Nämlich bei beispielsweise begrünten Dächern, die hier direkt neben der Straße eine Menge Dreck schlucken könnten und so als Vorfilter dienen. Außerdem verdecken sie das hässliche Hochhaus und begrünen den Ausblick. So etwas muss man aber wollen und als Ziel definieren. Den Wert erkennen, auch wenn es vielleicht ein paar Euro mehr kostet als der Rückbau des begehbaren Dachs. Visionen haben und umsetzen. Es richtig wollen und alles dafür tun.

Gute Luft wird hier nicht aktiv eingefordert, und man darf dann froh sein, wenn sich durch irgendwelche passive Maßnahmen die Luftqualität irgendwann verbessert.

Author: jke

Hi, I am an engineer who freelances in water & sanitation-related IT projects at Saniblog.org. You'll also find me on Twitter @jke and Instagram.

2 thoughts on “Kurz aus der Stadt raus”

  1. Sehr schöner Artikel. Kurze Frage: wo gibt es das schöne Feinstaub-Plugin im rechten Rand? Könnte ich für mein Blog gut gebrauchen ;-)
    Schöne Grüße
    Suitbert

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