Über das Lesen

Eine Beilage im aktuellen Schulz-Spiegel, der Literatur Spiegel, mit einem A bis Z an Autoren, deren Bücher anlässlich der bevorstehenden Buchmesse veröffentlicht oder besprochen werden.

Bla Bla Bla

„Wer soll das alles lesen?”, denke ich mir, und lese trotzdem weiter. Wir. Wir Leser. Wir, die nicht aufhören können, weil das Lesen so asynchron geschieht und damit alle möglichen Gedanken eingefangen und Gefühle erzeugt werden können. Wir, die sich an all dem teilweise ergötzen und nicht vom Lesen an sich erschlagen werden, sondern eher von der Vielfalt. Und der Fülle an Informationen.

Anders die Masse da draußen, die einerseits selber keine längeren Texte schreibt, andererseits bei längeren Texten nach einer kurzen (!) Zusammenfassung sucht („tl;dr”) oder gar nicht erst weiterliest. So erlebe ich es jeden Tag. Lange Texte werden nicht mehr gelesen. Möchte ich eine Antwort auf meine E-Mails, formuliere ich nur noch kurze Ein-, Zweizeiler. Es interessiert niemanden mehr. Oder sie nehmen sich nicht mehr die Zeit dafür. Schlimmer: Es werden lieber Anzeigenblätter durchstöbert und Preise verglichen, aber für längere Texte außerhalb des Berufslebens wird immer weniger Zeit investiert. Und es betrifft alle Menschen, also selbst die Leser der Wochenzeitschrift „Die ZEIT”, die ihre LeserInnen mit viel zu vielen Texten und teilweise belanglosen Inhalten quält. Vorfilterfunktion adé. Rosamunde Pilcher im ZDF mag da manchmal leichtere und passivere Kost sein als das x-te Feuilleton Special zu irgendeiner Inszenierung. Texte über Texte, die eigentlich nur eines beweisen: Die eigene Überheblichkeit, die einen immer kleiner werdenden Markt bedient. Wer soll das alles lesen? Seriously, wer? Und: Alles?

Twitter hat mir in all den Jahren geholfen, meine Mails kürzer zu fassen. Und eine Rückmeldung meiner Schwester vor vielen Jahren, dass niemand „Zeit für Deine langen Romane” habe. Mittlerweile kommunizieren wir primär über WhatsApp. Emojis. Kurz, knapp, reicht. Für mehr und Hintergründe ist doch eh keine Zeit. Oder doch?

Ähnlich verhält es sich mit Serien bei Netflix & Co., die wir alle noch anschauen müssen und die wir dann eigentlich nur deswegen durchbingen, weil sie in 8 Tagen offline gehen. Es ist zu viel von allem, es kommt zu viel gleichzeitig an, und nicht jeder nimmt sich die Zeit für all diese kleinen und interessanten Inhalte. Vor diesem Hintergrund wundert es mich immer wieder, dass es jetzt in 2017 noch so viele Publikationen gibt, die diese neue Konsumkultur nicht mehr richtig bedienen. Geht es nicht auch kürzer? Oder anders gefragt: würde es etwas ändern, wenn ein Buch mit beispielsweise 280 Seiten nur noch 50 Seiten lang wäre? Zeitungsartikel, die das Wesentliche auf ein paar Sätze herunterbrechen? Wochenzeitungen, die man in einer Stunde durcharbeiten kann und dann aber auch alles durchgelesen hat? Gar eine Buchmesse, die sich in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie vor allem dem Zeiteinsatz bzw. dem Aufmerksamkeitsthema widmet?

Für mich ist schreiben und lesen ein unvermeidbarer Akt. Meine Gesprächspartner, denen ich längere E-Mails schreiben darf (und manchmal auch eine längere Antwort erhalte), kann ich aber mittlerweile an einer Hand abzählen. Schöne neue Welt.

Author: jke

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